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Bioplastik aus Abwasser gewinnen

Kläranlagen können mehr als Abwasser reinigen. In Zukunft sollen sie auch Ressourcen zurückgewinnen. Ein Ansatz, den Forschende der Eawag verfolgen, ist die Umwandlung des im Abwasser enthaltenen organischen Kohlenstoffs in Bioplastik mit Hilfe von Bakterien.

von | 08.03.23

Titelbild: Aus Abwasser gewonnenes Bioplastik (Foto: Antoine Brison, Eawag)
08.03.2023 Ι Kläranlagen können mehr als Abwasser reinigen. In Zukunft sollen sie auch Ressourcen zurückgewinnen. Ein Ansatz, den Forschende der Eawag verfolgen, ist die Umwandlung des im Abwasser enthaltenen organischen Kohlenstoffs in Bioplastik mit Hilfe von Bakterien. Ein Beitrag von Claudia Carle Wissenschaftsredakteurin (Eawag)

Die Reinigung von Abwasser zum Schutz der menschlichen Gesundheit und der Gewässer ist nach wie vor die primäre Aufgabe von Kläranlagen. Daneben wird auf dem Weg zu einer Kreislaufwirtschaft aber auch die Rückgewinnung von Ressourcen immer wichtiger. Abwasser enthält beispielsweise viel organischen Kohlenstoff, der häufig in Methan zur Energieerzeugung umgewandelt wird. Antoine Brison und Nicolas Derlon von der Abteilung Verfahrenstechnik der Eawag haben nun untersucht, ob und wie sich aus dem organischen Kohlenstoff stattdessen Biokunststoff als höherwertiges Produkt gewinnen ließe. Sie arbeiten dafür mit Bakterien, die organischen Kohlenstoff in Form von Polyhydroxyalkanoaten (PHA) speichern können. Diese Biopolymere dienen den Bakterien als Energie- und Kohlenstoffquelle. Sie können aus den Bakterienzellen extrahiert und zu biologisch abbaubarem Kunststoff weiterverarbeitet werden.

Bioplastik aus Abwasser

Bioplastik aus Abwasser zu gewinnen, bietet einige Vorteile gegenüber der heutigen Herstellung. PHAs werden derzeit aus Primärrohstoffen wie Zucker oder Pflanzenölen unter sterilen Bedingungen produziert. Das führt zu hohen Produktionskosten, weshalb PHA-Bioplastik trotz seiner attraktiven Eigenschaften bisher nicht mit Kunststoffen auf Erdölbasis konkurrieren kann und daher ein Nischenprodukt bleibt. Die Verwendung von organischem Kohlenstoff aus Abwasser, das kostenlos zur Verfügung steht, sowie die Verwendung von mikrobiellen Mischkulturen, die keine energieintensiven, sterilen Bedingungen erfordern, sind daher ein vielversprechender Ansatz.

Für die Produktion dieser Biokunststoffe aus Abwasser braucht es drei Schritte: Zuerst muss möglichst viel des organischen Kohlenstoffs aus dem Abwasser gewonnen werden. Anschließend muss dieser Kohlenstoff zu flüchtigen Fettsäuren vergoren werden, den Vorstufen der PHA. In dem Fettsäure-reichen Substrat können die Forschenden schließlich gezielt PHA-Speicher-Bakterien züchten.

Platzsparende Mikrosiebe zum Abscheiden des Kohlenstoffs

Für die Abscheidung des organischen Kohlenstoffs aus dem Abwasser verglichen die Forschenden zwei verschiedene Methoden: Zum einen die in den meisten Kläranlagen vorhandenen Vorklärbecken, zum anderen Mikrosiebe als alternative Abscheidetechnologie. Die Ergebnisse zeigen, dass beide Methoden organischen Kohlenstoff gleichermaßen effizient aus dem Abwasser abscheiden können. Besonders hoch war die Ausbeute, wenn dem Abwasser zuvor Flockungsmittel zugesetzt wurde, so dass sich kleinere Partikel zu grösseren zusammenklumpten und damit besser abgeschieden werden konnten. Auf diese Weise konnten rund 60% des im Abwasser enthaltenen organischen Kohlenstoffs gewonnen werden.

Bei der Fermentation des mit den beiden Abscheidetechnologien gewonnenen Kohlenstoffs, entstanden Substrate, die eine ähnliche Zusammensetzung und Menge an Fettsäuren aufwiesen und sich daher gleichermaßen für die Produktion von PHA-Kunststoff eignen. Ein großer Vorteil von Mikrosieben ist jedoch, dass sie deutlich kleiner sind – ihr Platzbedarf beträgt nur etwa 10 bis 15 % desjenigen von Vorklärbecken. Das hat auch einige Schweizer Kläranlagen überzeugt, wie etwa die Kläranlage Sihltal (Zürich), die ab 2023 Mikrosiebe einsetzen werden.

PHA-Speicher-Bakterien in nährstoffarmen Milieus im Vorteil

Für die Produktion von PHA-Kunstoffen muss auf dem Fettsäure-reichen Ausgangssubstrat eine Biomasse gezüchtet werden, die viele PHA-Speicher-Bakterien enthält. Die Forscher untersuchten daher, unter welchen Bedingungen diese Bakterien am besten wachsen und sich gegenüber anderen, nicht PHA-speichernden Bakterien durchsetzen können. Da PHA Speicherstoffe sind, die Bakterien nur bei erschwerten Wachstumsbedingungen bilden, etwa wenn ein wichtiger Nährstoff wie Phosphor fehlt, lag die Vermutung nahe, dass Nährstoffmangel ein Selektionsvorteil für PHA-Speicher-Bakterien sein könnte. Die Forscher experimentierten daher in der Eawag-Versuchshalle mit synthetischem Abwasser mit unterschiedlichen Verhältnissen von Kohlenstoff zu Phosphor. Sie stellten fest, dass der Anteil der PHA-Speicher-Bakterien in der mikrobiellen Gemeinschaft tatsächlich zunahm, wenn die Phosphor-Verfügbarkeit abnahm. Im optimalen Fall dominierten die PHA-Speicher-Bakterien mit über 90%, bildeten gleichzeitig auch am meisten PHA-Kunststoff und reinigten das Abwasser komplett von Kohlenstoff und Phosphor.

Anschließend wurden die Versuche mit realem Abwasser durchgeführt, dessen Zusammensetzung im Laufe des 150 Tage dauernden Versuchs schwankte. Obwohl die Nährstoffe Phosphor und Stickstoff dadurch nicht durchgehend limitierend waren, lagen am Schluss des Versuches bis zu 70% der Biomasse in Form von PHA vor.

Einsatzmöglichkeiten von Bioplastik aus Abwasser

Noch braucht es weitere Untersuchungen, um die Prozesse zur Gewinnung von Biokunststoff aus Abwasser besser zu verstehen und zu optimieren, bevor Pilotversuche in öffentlichen Kläranlagen stattfinden können. Aber wo sehen die Forschenden die Einsatzmöglichkeiten, wenn sich eines Tages tatsächlich Bioplastik aus Abwasser gewinnen lässt?

“Selbst, wenn diese Kunststoffe eines Tages wirtschaftlich rentabel sind, wäre es unmöglich, sie in solchen Mengen zu produzieren, um die Nachfrage der Gesellschaft nach ihren erdölbasierten Pendants zu decken”, meint Antoine Brison.

Ein gewichtiges Hindernis für die Nutzung von Biokunststoff aus Abwasser ist außerdem, dass momentan die rechtlichen Rahmenbedingungen und die gesellschaftliche Akzeptanz dafür noch fehlen. Brison sieht für das Bioplastik aus Abwasser daher eher Potenzial bei spezifischen Nischenanwendungen– etwa als Umhüllung für Düngemittel, um eine langsame Freisetzung zu erreichen. Eine weitere Möglichkeit sei der selbstreparierende Beton, an dem eine niederländische Firma arbeite. Dort könnten PHAs als Kohlenstoffquelle für Bakterien dienen, die Risse im Beton beim Eindringen von Wasser reparieren, indem sie die Bildung von Kalk anregen.

Ein Reaktortyp, der zu Kläranlagen passt

Wird PHA-Bioplastik umwelttechnologisch hergestellt, kommen dafür bisher sogenannte Sequencing-batch-Reaktoren (SBR) zum Einsatz, die stoßweise mit dem Ausgangssubstrat beschickt werden. Kläranlagen arbeiten jedoch mit einem kontinuierlichen Durchfluss. Die Forschenden untersuchten daher, ob sich auch ein kontinuierlich beschickter Reaktor (continuous stirred tank reactor = CSTR) eignen würde, der die Integration der PHA-Produktion in bestehende Kläranlagen deutlich erleichtern würde. Es zeigte sich, dass in diesem Reaktor aus der gleichen Abwassermenge sogar deutlich mehr PHA-speichernde Biomasse erzeugt werden kann.

 

Originalpublikationen

Brison, A.; Rossi, P.; Gelb, A.; Derlon, N. (2022) The capture technology matters: composition of municipal wastewater solids drives complexity of microbial community structure and volatile fatty acid profile during anaerobic fermentation, Science of the Total Environment, 815, 152762 (13 pp.), doi:10.1016/j.scitotenv.2021.152762, Institutional Repository
Brison, A.; Rossi, P.; Derlon, N. (2022) Influent carbon to phosphorus ratio drives the selection of PHA-storing organisms in a single CSTR, Water Research X, 16, 100150 (11 pp.), doi:10.1016/j.wroa.2022.100150, Institutional Repository

Brison, A., Rossi, P. and Derlon, N. (2023): Single CSTR can be as effective as an SBR in selecting PHA-storing biomass from municipal wastewater-derived feedstock. Water Research X, Vol. 18. DOI: https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S2589914723000014

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