27.09.2022 Ι Durch den Einsatz von Substratabfällen aus der Pilzproduktion und Klärschlamm-Kompost hat das Fraunhofer-Institut für Keramische Technologien und Systeme IKTS gemeinsam mit Partnern eine Mülldeponie im Leipziger Raum begrünt. Künftig wollen die Forschenden mit ihrer neuen Rekultivierungstechnologie auch Tagebaue und alte Bergbauhalden zum Blühen bringen. Gleichsam wird auch der Energieverbrauch in deutschen Champignon-Zuchtanlagen deutlich gesenkt.
Vor allem beim Tagebau dauern die Begrünungsprozesse über Jahrzehent an. Das liegt daran, dass unter dem Mutterboden, der ganz oben aufliegt, nur noch biologisch inaktiver Unterboden ohne Pflanzenwurzeln und Mikroorganismen vorhanden ist. Auch geologische Besonderheiten wie Phosphoritknollen verhindern eine natürliche Begrünung. Die Knollen, gelangen mit dem Abraum an die Oberfläche und oxidieren mit dem Sauerstoff in der Luft. Die Phosphoroxide übersäuern dann das Erdreich und machen es für Pflanzen unbewohnbar.
Pilz-Klärschlamm-Mischung puffert Phosphorknollen
Unter Beteiligung des IKTS haben sich Deponiebetreiber, Klärschlammverwerter, Spezialmaschinenhersteller und Agrarexperten zusammengetan, um unbelebte Erde mit neuem Leben zu impfen. Erfolgreich haben sie dies auf einer Versuchsfläche von 600 Quadratmetern einer Mülldeponie nahe Leipzig erprobt. Mittlerweile blühen dort wieder Gräser, Blumen und Stauden, auch Tiere siedeln sich an.
Die begrünte Fläche sieht nicht nur schöner aus als eine karge Halde, sondern stabilisiert das gesamte ökologische und geologische Gleichgewicht vor Ort. Die Wurzeln verankern und stabilisieren die Erde, die sie damit gegen Erosion schützen. Außerdem kann Regenwasser nun ins Erdreich einsickern, statt auf trocken-hartem Boden wegzufließen oder Ausspülungen zu verursachen. Die Vegetation und die rekultivierte Erde strecken den Phosphoritknollen-Effekt. Somit rutscht der pH-Wert des Bodens nicht mehr so stark ab.
Geheime Rezeptur zur Wiederbelebung
Möglich wird die Rekultivierung durch eine spezielle Rezeptur, die die sächsischen Forschenden, Landwirtschaftsexperten und Ingenieure im Projekt entwickelt haben. Ein Bestandteil ist der Klärschlamm-Kompost, der aus kommunalen Kläranlagen in der Umgebung kommt. Er enthält viele Mikroorganismen, die für eine Wiederbelebung für den inaktiven Boden sorgen.
Die zweite Komponente kommt aus der Champignon-Produktion. Diese Pilze werden heutzutage in großen Hallen gezüchtet, gefüllt mit Kompost und einem speziellen Substrat. Nach der Ernte wird das verbrauchte Pilzsubstrat meist als Dünger für Feldfrüchte wie Getreide oder Gemüse weiterverwendet. Dafür ist es aber eigentlich zu schade und verschwendet zudem viel Energie, da es aufwändig sterilisiert werden muss. Diese Entkeimung macht allein rund 30 Prozent des gesamten Energiebedarfs in der Pilzproduktion aus. Wenn es gelingt, das Substrat ohne Sterilisation anderweitig zu verwenden, könnten die Pilzproduzenten also viel Energie und Geld sparen und damit zum Umweltschutz beitragen.
Statt das Substrat auf die Felder zu bringen, nutzen die Forschenden die Champignon-Produktionsreste für ihre Rekultivierungstechnologie. Bisher wird noch sterilisiertes Substrat verwendet. Allerdings haben Versuche bereits gezeigt, dass unsterilisierte Pilzreste besser geeignet wären, biologisch inaktivem Boden Leben einzuhauchen.
Klärschlamm-Kompost und Pilzsubstrat werden auf den unbelebten Unterboden aufgeschichtet. Die genaue Zusammensetzung ist ein Geheimnis und hängt vom jeweiligen Grundmatrixmaterial der Pilzart und der Aufbereitung der Zusatzstoffe ab. Landmaschinen vermischen die in Schichten aufgebrachten Materialien. Eine Sämaschine bringt dann das Saatgut aus. Danach lassen die Projektpartner der Natur weitgehend ihren Lauf.
Ein Wundverschluss für die verletzte Landschaft
Nico Domurath, Wissenschaftler für Pflanzenbau am IKTS, beschreibt eine gesellschaftliche und ökologische Dimension des Projekts: »Boden ist eine sehr wertvolle Ressource, die wir schützen müssen. Leider verlieren wir im Schnitt pro Tag 54 Hektar davon – das entspricht 76 Fußballfeldern – beispielsweise durch Wohnungs-, Straßen- und Bergbau. Was wir im Zuge unseres Projekts entwickelt haben, ist wie ein Wundverschluss für die Verletzungen, die der Mensch in der Landschaft hinterlassen hat.«
In einem Anschlussprojekt wollen die IKTS-Forschenden die neue Rekultivierungstechnik nun im Freiberger Raum auch auf alten Bergbauhalden erproben. Dort sollen Spezialmischungen verhindern, dass der Regen Blei, Cadmium, Uran oder andere Schwermetalle in die Flüsse spült. In einem weiteren Vorhaben möchte das Forschungsteam zudem seine Technologie auf einer größeren Halde austesten. Dieser Schritt vom Pilot- in den großtechnischen Maßstab soll unter anderem helfen abzuschätzen, welche Skalierungseffekte auftreten und wie viel es kosten würde, Großflächen von mehreren Hektar so zu begrünen.
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